Altstadt anders erleben: Fribourg, ganz ohne Plan

Rue de Lausanne, Fribourg

Ich lebe schon eine Weile in Fribourg, aber an diesem Tag war etwas anders.

Kein Plan, keine Liste, kein Tempo. Nur eine Kamera, eine freie Stunde – und das diffuse Bedürfnis, Bekanntes neu zu sehen.

Rue de Lausanne war unsere erste Adresse hier. Kein Zuhause im eigentlichen Sinne, eher ein erster Halt. Wir kamen aus der Ukraine, mit den Kindern, mit dem Echo der Sirenen noch in den Ohren.

Odessa ist Heimat. Fribourg ist… eine gemietete Wohnung, die sich überraschend vertraut anfühlt. Sogar die schief stehende Lampe scheint absichtlich auf meinen Geschmack abgestimmt.

Die Rue de Lausanne ist ruhig, autofrei, gesäumt von kleinen Läden, Cafés, Handwerksboutiquen. Kulinarisch ist sie eine eigene kleine Welt: internationale Restaurants, Bäckereien mit Brioche, vietnamesische Suppenbars, zwei hervorragende italienische Gelaterien. Weil, ehrlich – in der Schweiz machen fast nur Italiener das beste Eis. Es riecht nach Croissants. Fast zu gut, fast zu inszeniert.

Aber nein – es ist einfach so.

Fribourg, rue de Lausanne
Fribourg, rue de Lausanne

Das ist einfach Europa – nichts Neues, nichts Überraschendes. Aber hier hat es doch eine eigene Temperatur. Die Pflastersteine murmeln, statt Geschichten zu erzählen. Man bleibt stehen und fotografiert Regenrinnen, Fensterläden, Schattenlinien.

Die Kathedrale Saint-Nicolas – sie liegt nicht an dieser Strasse, aber sie ist immer da. Wachsam. Leicht arrogant. Irgendwann werde ich die 365 Stufen hinaufsteigen und auf die Stadt blicken. Wird das mein Leben verändern? Wahrscheinlich nicht. Aber ich will diesen Blick sehen. Ein inneres Kästchen abhaken, dessen Existenz mir erst in diesem Moment bewusst wird.

Die Kathedrale Saint-Nicolas, Fribourg, die Schweiz
Die Kathedrale Saint-Nicolas

Fribourg ist heute überwiegend französischsprachig, aber die Stadt spricht mehr als nur eine Sprache. Auf der Rue de Lausanne beginnt die Melodie sich zu verändern. Das singende Französisch dehnt sich aus, dann kommt es: Seislerdütsch. Nicht Zürideutsch – härter, rauer, aus einer anderen Zeit.

Man sagt, der Fribourger Dialekt sei einer der schwierigsten – selbst für Muttersprachler. Und ja, in der Unterstadt gibt es noch eine ganz eigene Mischung: Bolze, gewachsen zwischen Gassen, Familien und Fabrikhöfen.

Die meisten deutschsprachigen Bewohner Fribourgs leben in der Unterstadt, gleich hinter der Kathedrale. Die Zeit scheint hier zwischen dem letzten Hexenprozess und heute stehen geblieben zu sein. Und ja – hier wurden tatsächlich Hexen verbrannt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wenn du ruhigere Städte magst, mit Seeblick und Geranien statt Gassen und Schatten – dann ist Murten eine andere Geschichte. Heller. Und nur einen Tag entfernt.
👉 Murten entdecken

Rue de Lausanne ist ein Anfang. Wer mehr von Fribourg will – Brücken, Rhythmen, Sprachgrenzen – sollte hier beginnen.
👉 Fribourg erleben

Und ein kleines Sprachspiel: Versuch mal, Seislerdütsch zu verstehen. Die meisten Deutschsprachigen scheitern. Selbst die Schweizer schauen manchmal irritiert.
🎧 Zum Dialekt-Video

Fribourg. Frei und fest – wörtlich genommen. Nicht so alt wie Chur, aber würdig gealtert. Dieses Jahr wird die Stadt 868 Jahre alt.

Ob wir lange bleiben, weiss ich nicht. Aber wir sind uns schon begegnet. Vielleicht haben wir sogar ein, zwei Wetterfloskeln ausgetauscht.